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Quator Diotima
© Michel Nguyen

Gürzenich-Orchester Köln

Verbotene Liebe

Konzert | Arnold Schönberg | Kölner Philharmonie

Quatuor Diotima, Streichquartett
Matthias Pintscher, Dirigent

Arnold Schönberg (1874 – 1951)
Der Wiener Arnold Schönberg verkörpert in seinem Werdegang als Komponist die krisenhafte Wende in der Musikgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Als Musiker und Komponist war Schönberg nahezu Autodidakt, und er stand zunächst der Generation nahe, die die letzte Blüte der deutsch- österreichischen Spätromantik repräsentierte, also der Generation Gustav Mahlers und Hugo Wolfs, deren Musiksprache die frühen Werke Schönbergs durchaus noch verwandt sind. Doch verbindet sich mit dem Namen Schönbergs heute in erster Linie die Erinnerung an die Einführung der Zwölftontechnik in die Musik. Gemeint ist damit die endgültige Abkehr vom traditionellen Dur-Moll-System, die Schönberg seit etwa 1908 vollzog. Die Bezeichnung „Atonalität“ für die Preisgabe des Dur-Moll-Systems stammt ursprünglich von einem die neue Richtung in der Musik ablehnenden Kritiker, der mit dieser Kennzeichnung zum Ausdruck bringen wollte, dass der neuen Musik die Voraussetzungen einer tonalen Kunst fehlten. In einem engeren – und keineswegs mehr abwertenden Sinne – wird der Ausdruck später gebraucht, um bei einem Musikstück „das Fehlen einer bestimmten Tonart oder eines tonalen Zentrums“ anzuzeigen. Ungefähr die Hälfte der Kompositionen Schönbergs ist allerdings noch nicht dodekaphonisch, also der Zwölftonmusik zugewandt, sondern noch ganz traditionell im Dur-Moll- System verankert. Schönberg feiert dieses Jahr seinen 150. Geburtstag, daher ist ihm das heutige Konzert gewidmet.

Fünf Orchesterstücke op. 16
Die „Orchesterstücke op. 16“ wurden 1912 in London uraufgeführt (1949 die reduzierte Orchesterfassung) und gehören zu den Schlüsselwerken des Wiener Expressionismus, in denen Schönberg – unter Verzicht auf Tonalität, thematisches Denken und klassische Satzstruktur – seine „Sprache der Freiheit“ exemplarisch formulierte. „Man könnte hier vielleicht von einer Prosa der Musik reden“, heißt es in einem Brief an Anton Webern. Und an Richard Strauss, dem er op. 16 zur Uraufführung anbot, schrieb Schönberg: „Es sind kurze Orchesterstücke (zwischen 1 und 3 Minuten Dauer) ohne zyklischen Zusammenhang (... ). Ich verspreche mir allerdings kolossal viel davon, insbesondere Klang und Stimmung. Nur um das handelt es sich - absolut nicht sinfonisch, direkt das Gegenteil davon, keine Architektur, kein Aufbau. Bloß ein bunter, ununterbrochener Wechsel von Farben, Rhythmen und Stimmungen“. Jedes Stück basiert auf einer Keimzelle von nur wenigen Tönen, aus der nach Schönbergs Technik permanenter Variation immer neue motivische Konstellationen hervorgetrieben werden. Bemerkenswert ist trotz deutlicher Formverkürzung der Reichtum an differenzierten Klang- und Ausdruckscharakteren: etwa die aller Realität entrückte Ruhe des 2. Stücks oder der gespenstische Scherzo-Ton im 4. Stück mit seinen choralartigen Akkord-Ostinati. Am berühmtesten wurde op. 16/3, worin Schönberg seine Idee der „Klangfarbenmelodie“ modellhaft realisierte: Das Stück besteht im Wesentlichen aus einem Fünftonakkord in unmerklich changierender instrumentaler „Belichtung“. Klangfarbe wird hier, abgelöst von aller poetischen oder koloristischen Funktion, zum Hauptträger des musikalischen Fortgangs. Einer Bitte seines Verlegers (eher widerstrebend) folgend, hat Schönberg den Stücken 1922 Titel beigegeben: 1. Vorgefühle (Molto allegro) 2. Vergangenes (Mäßige Viertel) 3. Farben (Mäßige Viertel) 4. Peripetie (Sehr rasch) 5. Das obligate Rezitativ (Bewegte Achtel).
Spieldauer: ca. 18 Min.

Konzert für Streichquartett und Orchester B-Dur nach dem Concerto grosso op. 6 Nr. 7 von Georg Friedrich Händel
Schönbergs Konzert für Streichquartett und Orchester nach Händel entstand im Sommer 1933 in der Villa Stresa, Avenue Rapp in Arcachon (Gironde), wo er im Jahr zuvor schon ein Cellokonzert nach Monn geschrieben hatte. Auch wenn es offiziell als „Beurlaubung“ umschrieben wurde: Am 23. Mai 1933 musste Schönberg Berlin verlassen und floh mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter nach Paris, wo er bald vom lutherischen Protestantismus zum jüdischen Glauben seiner frühen Kindheit rekonvertierte. Das Konzert beendete er in Arcachon, noch ehe er im Oktober nach Amerika aufbrach. Die Uraufführung fand am 26. September 1934 in Prag unter K. B. Jirak mit dem Kolisch-Quartett statt. Rudolf Kolisch, der Primarius des Quartetts, war Schönbergs Schwager. Diese biographischen Umstände scheinen dem Charakter des Werkes kaum zu entsprechen, das sicherlich zu den fröhlichsten, temperamentvollsten, spielerischsten, liebevollsten, melodiösesten und tänzerischsten Werken gehört, die Schönberg jemals komponiert hat. Auch gehört es seit Beethovens Großer Fuge zu den anspruchsvollsten Werken für ein solistisch geführtes Quartett. Dem Charakter derMusik nach könnte man es dabei eher als Sinfonie statt als Konzert klassifizieren.
Arnold Schönberg schrieb 1935 selbst zu dem Werk: „Das Streichquartett-Konzert habe ich Mitte 1933 geschrieben gleich nach dem Konzert für Violoncell. Veranlasst unmittelbar durch das Kolisch-Quartett, welches auch die ersten Aufführungen in Prag gespielt hat, verwirklicht es einen Teil meiner Absicht, einzelnen Instrumenten neue technische Aufgaben zu stellen, welche ich weiter auszuführen gedenke durch ein Klavier- und ein Violinkonzert. Es hat sich mir hierbei nicht darum gehandelt, dem Instrument neue Farben oder Klänge abzugewinnen, obwohl es daran kaum fehlen dürfte. Sondern ich wollte bisher unausgenützte Möglichkeiten, Griffe, Spielweisen anwenden, deren Bewältigung die Instrumentalisten befähigen soll, moderne Themen und Melodien vollendet zu spielen. Kompositorisch bin ich bestimmt weitergegangen, als Brahms oder Mozart in ihren Händel-Bearbeitungen. Ich habe mich nicht, wie sie, darauf beschränkt, Sequenzen und uninteressantes Figurenwerk auszumerzen und die Satzweise zu bereichern, sondern insbesondere im dritten und vierten Satz, deren Dürftigkeit hinsichtlich der thematischen Erfindung und Ausführung keinem aufrichtigen Zeitgenossen genügen könnte, habe ichganz frei und unabhängig geschaltet und unter Benützung des Brauchbaren einen ganz neuen Aufbau vorgenommen. (...)“ Schönberg schuf das Konzert auf der Grundlage von Händels Concerto grosso op. 6 Nr. 7 und wählte dafür die volle moderne Orchesterbesetzung (samt einer bunten Schar von Schlaginstrumenten), in der Harfe und Klavier als eine Art Continuo fungieren. In den Orchesterstimmen der ersten beiden Sätze bleibt der Aufbau von Händels Musik zwar überwiegend intakt, doch die Solostimmen werden immer freier sowie rhythmisch, harmonisch und strukturell komplizierter – ein Vorgang, der im ersten Satz in einer außerordentlichen Kadenz für alle vier Instrumente gipfelt. Im dritten und vierten Satz wird jeder Versuch aufgegeben, das Original zu transkribieren, und stattdessen Händels einleitende Themen als Grundlage für eine pauschale Neukomposition herangezogen. Die Satzfolge lautet: 1. Largo - Allegro,2. Largo, 3. Allegretto grazioso und 4. Hornpipe – Moderato.
Spieldauer: ca. 21 Min.

Pelleas und Melisande op. 5
Sinfonische Dichtung nach dem Drama von Maurice Maeterlinck
„Ich komponierte die symphonische Dichtung ‚Pelleas und Melisande’ 1902. Sie ist ganz und gar von Maurice Maeterlincks wundervollem Drama inspiriert. Abgesehen von nur wenigen Auslassungen und geringfügigen Veränderungen in der Reihenfolge der Szenen, versuchte ich jede Einzelheit widerzuspiegeln.“ schrieb Arnold Schönberg 1949 in einer Programmnotiz zu seiner sinfonischen Dichtung. Schönbergs (post-)romantische Affinität zur Programm-Musik fällt zugleich mit dem Zenit eines Werktyps zusammen, der im ausgehenden 19. Jahrhundert wesentlich von Richard Strauss definiert wurde. Die Aufführungen der sinfonischen Dichtungen „Ein Heldenleben“, „Also sprach Zarathustra“, „Tod und Verklärung“ und „Don Juan“ (von Gustav Mahler, Hans Richter und Strauss selbst dirigiert) wurden im Wiener Konzertleben seit 1892 viel beachtet und kontrovers diskutiert. Mit April 1902 datieren erste Skizzen zu Maeterlincks Drama „Pelleas und Melisande“, das Strauss seinem jungen Kollegen als Opernstoff empfohlen hatte. Von Gabriel Faurés „Pelleas“-Schauspielmusik (1898) sowie Claude Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“, die am 30. April 1902 in Paris uraufgeführt wurde, hatte Schönberg zum Zeitpunkt der Komposition, die im Februar 1903 abgeschlossen wurde, keine Kenntnis: „Ich hatte ursprünglich daran gedacht, ‚Pelleas und Melisande’ als Oper zu vertonen, diesen Plan später jedoch aufgegeben – obwohl ich nicht wusste, dass Debussy gleichzeitig an seiner Oper arbeitete. Ich bedaure immer noch meine ursprünglicheIntention nicht realisiert zu haben. Möglicherweise wäre die wundervolle Aura des Dramas nicht in jenem Maße eingefangen worden, ich hätte jedoch mit Sicherheit die Charaktere sanglicher gestaltet.“ Vor der Uraufführung am 25. Januar 1905 im Großen Musikvereinssaal unter der Leitung des Komponisten – „einer der Kritiker schlug vor, mich in eine Irrenanstalt zu stecken und Notenpapier außerhalb meiner Reichweite aufzubewahren“ – besprach Schönberg seine Partitur mit Gustav Mahler, dem sie „enorm kompliziert vorgekommen“ ist. Die grobe Handlung: Pelleas und Golo, zwei Halbbrüder und Enkel von König Arkel, leben mit ihrer Mutter Geneviève und ihrem Großvater in einem alten Schloss. Eines Tages verirrt sich Golo im Wald und trifft auf Melisande, die nichts von ihrer Vergangenheit preisgibt. Er verliebt sich in die rätselhafte Fremde und bringt sie dazu, ihn zu heiraten. Als sie gemeinsam ins Schloss zurückkehren, leidet Melisande unter der Düsternis und Isolation. Zwischen ihr und Pelleas wächst unter Golos ständiger Beobachtung eine immer tiefere Zuneigung. Golo überrascht die beiden bei einem Liebesgeständnis und tötet aus Eifersucht Pelleas. Nach der Geburt eines Kindes zerbricht Melisande an derentmenschlichten Situation ihres Daseins und stirbt. Schönberg konzentriert seine Deutung in Form der einsätzigen sinfonischen Dichtung auf die Figurenkonstellation Golo – Melisande – Pelleas und deren schicksalhafte Beziehung in einer unbestimmten, ort- und zeitlosen Welt, in der Berührungen erdacht und nicht konkret sind. Die nachromantische Klanggestik des groß dimensionierten Orchesters ist nie „rein beschreibend“, wie Alban Berg in einer Analyse festhält, sondern orientiert sich am ästhetischen Gedanken, das Sujet nicht als Inhalt, sondern als Voraussetzung der Musik aufzufassen. Thematische Gedanken, prägend füreinzelne Szenen oder Personen, bilden – der dramatischen Leitmotivik vergleichbar – die Bausteine einer sinfonischen Entwicklung, welche in der Waldszene als Einleitung zum ersten Satz (Golos Begegnung mit Melisande, Heirat) ihren Ausgang nimmt und über die Binnenabschnitte Scherzo (Szene am Springbrunnen, Melisande verliert ihren Ehering, Begegnung mit Golos Halbbruder Pelleas) und Adagio (Abschieds- und Liebesszene zwischen Pelleas und Melisande, Golo tötet Pelleas) bis zur Rekapitulation des Themenmaterials im Finale (Tod der Melisande) führt. In einem Brief an seinen Schwager Alexander von Zemlinsky, der Teile des „Pelleas“ für eine von ihm dirigierte Prager Aufführung im Jahr 1918 streichen wollte, fasste Schönberg die wesentlichen Stationen seines Opus 5 zusammen: „das Anfangsmotiv (12/8) bezieht sich auf Melisande“, darauf folgt das „Schicksalsmotiv“, im Scherzo ‚das Spiel mit dem Ring‘, die ‚Scene mit Melisande’s Haar‘ im Adagio,sowie ‚Liebesscene; [...] die sterbende Melisande‘ und ‚Eintritt der Dienerinnen, Melisandes Tod‘ im Finale.“
Spieldauer: ca. 40. Min.

Kölner Philharmonie

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