DER MENSCHENFEIND | Depot 2
Es gibt sie auch heute noch, Eigenbrötler, Einzelgänger, Misanthropen. Molière geht mit seiner Schilderung eines Menschenfeindes freilich in Extrembereiche.
Wahrheit um jeden Preis, funktioniert das, kann das im täglichen Miteinander gut gehen? Alceste ist als Korrektivfigur zu der falschen Höflichkeit einer Gesellschaft zu sehen, wie sie 1666 (Uraufführung) nicht unbedingt anders gewesen sein muss als heute. Er setzt sich als moralische Instanz, als "reiner Mensch" (Goethe) allerdings etwas hochtrabend in Szene. Die kategorischen Forderungen Alcestes verkennen die naturgegebenen Schwächen des Menschen, freilich auch seine soziale Regenerierungsfähigkeit. Man fühlt sich wie von päpstlichen Doktrinen eingeengt. Dabei erkennt Alceste in seiner Liebe zur flatterhaften Célimène diese Schwächen an sich selber. Doch führt das nicht zu humaner Kompromissbereitschaft. Seine Exilbedingungen für eine Verbindung mit Célimène können das junge Mädchen natürlich nur vor den Kopf stoßen. Moritz Sostmann will mit seiner Inszenierung, die (wie schon "Sezuan" und "Amerika") echte Darsteller und Puppen miteinander Kombiniert, keine der Figuren desavouieren, aber auf komödiantische Weise Schroffheiten unterschiedlicher Verhaltens- und Denkweisen beleuchten. Auch das clowneske Outfit einiger Darsteller soll einem Erhellungsprozess dienen. Hier muss man den Intentionen des Regisseurs vielleicht nicht unbedingt folgen. Bei allem überbordenden Humor, der manchmal durchaus deftig ausfällt, wahrt die Aufführung einen Grundernst. Die Auseinandersetzungen zwischen den Figuren sind nicht lediglich giftige Plaudereien, sondern Auseinandersetzungen von durchaus archetypischem Anspruch. Alceste geht am Schluss als Verlierer, aber erhobenen Hauptes von der Szene. Wird er jetzt in seinem Exil versauern? Der Regisseur beendet den Abend mit einem tröstlichen Bild. Die wenigen Freunde, welche Alceste hat, teilen zwar nicht seine Lebensauffassung, aber sie werden ihn - eine verschworene Gemeinschaft - auch nicht im Stich lassen. Vielleicht wird Alceste in seinem weiteren Leben versöhnlicher. Zuvor lässt Moritz Sostmann aber nichts aus, was den komödiantischen Elan seiner Inszenierung zu steigern in der Lage ist. Dazu gehört eine ausgedehnte pantomimische Introduktion, weiterhin die Ausstattung Christian Becks mit ihrem grotesk vergrößerten Mobiliar. Die Kostüme orientieren sich ironisch am 17. Jahrhundert. Benjamin Höppner zeichnet den Alceste prägnant, eifernd und hypertroph. Komödiantisch eruptiv geben sich Philipp Plessmann und Johannes Benecke. Sie helfen Magda Lena Schlott und Franziska Rattay auch bei der Führung der Puppen (von Hagen Tilp), welche in der Tat eine lebendige Physiognomie entwickeln. Begeisterung im Publikum. CZ
Montag, 02. Februar 2015 | Kritiken