
Inhalt
Augustin Hadelich, Violine
Dima Slobodeniouk, Leitung
Jean Sibelius (1865 - 1957)
Pohjolas Tochter op. 49
Dmitrij Schostakowitsch (1906 - 1975)
Violinkonzert Nr. 1 a Moll op. 77
Dmitri Schostakowitsch hatte eine unbekümmerte Frühphase gehabt, in der er provokativ nach allen Seiten experimentierte. Doch 1936 hatte sich der erste Schlag der stalinistischen Kulturpolitik gegen ihn gerichtet, und ihn zu einer radikalen Veränderung seiner Musiksprache gezwungen. Von nun an schrieb er nur noch Musik mit doppeltem Boden. 1948 fühlte er sich in einer ausweglosen Situation. Im Krieg war es möglich geworden, unverstellter zu schreiben, doch machte die neue Freiheit die Bürokraten auch wieder misstrauisch. 1948 hatte Schostakowitsch ein Stück in der Schublade, das er schon nicht mehr zur Uraufführung freizugeben wagte: für seinen Kammermusikpartner und Freund David Oistrach hatte er im Jahr 1947 ein Violinkonzert komponiert und ihm die Opuszahl 77 zugeordnet. Nach dem Tribunal von 1948 wuchs der Stapel unveröffentlichter Werke, die elf Lieder Aus jüdischer Volkspoesie kamen dazu, das Vierte Streichquartett, die Vier Monologe nach Puschkin. Sie alle wurden erst nach Stalins Tod zum ersten Mal gespielt. Das Violinkonzert präsentierte David Oistrach am 29. Oktober 1955 in Leningrad, und im Dezember spielte er die amerikanische Erstaufführung mit den New Yorker Philharmonikern unter der Leitung von Dmitri Mitropoulos, die ein ungeheurer Erfolg war. (Damals ordnete man das Werk unter der Opuszahl 99 ein, da die 77 an ein Gelegenheitswerk vergeben war, doch kehrte die Gesamtausgabe wieder zur ursprünglichen Zählung zurück, während nun als Opus 99 die Filmmusik Die erste Staffel rangiert.)
Das 1. Violinkonzert Schostakowitschs ist nicht so sehr ein Virtuosenkonzert als eine sinfonische Komposition mit einem weiten Ausdrucksspektrum. David Oistrach brauchte sein rein technisches Können nicht zu beweisen, er konnte zeigen, was man mit dieser technischen Perfektion zu leisten vermag. Das Konzert ist viersätzig wie eine Sinfonie, und auch die Abfolge der Sätze - Langsam-Schell-Langsam-Schnell - knüpft an Schostakowitschs sinfonische Welt an. Die Bezeichnungen der Sätze tragen eine geheime Bedeutung: Das "Nocturne" schildert nicht nächtliche Romanzen, sondern erzählt von dunkler Zeit; die "Burleske" verhöhnt - wie Mahlers geistesverwandte Burleske der Neunten - die Verrücktheit des Alltagstrubels, in dem man sich versinken lässt.
Das Konzert ist ein Kompendium der verborgenen Aussagen, die der Komponist mit System in seine Musik einbaute und so den musikalisch Empfindsamen seinen moralischen Widerstand vermittelte. Jüdische Anklänge möchten sich gegen den Antisemitismus auflehnen, den Stalin als Herrschaftsinstrument gebrauchte. Im Scherzo identifiziert er sich - kenntlich durch das d-es-c-h-Motiv, sein Signum D. Sch. - mit dem jüdischen Musikanten, der lustig aufspielen muss, wo ihm viel eher zum Heulen zumute ist. Auch die Passacaglia wird hier schon vorbereitet, indem das Kernmotiv ihres Ostinato-Themas anklingt. Es ist das "Gewalt-Motiv" aus seiner Oper Lady Mcbeth von Mzensk, das sein gesamtes Oeuvre durchzieht. Die Passacaglia - auch sie eine von ihm immer wieder bedeutungsschwer benutzte Form - wird zu einem weiteren Requiem für die zahllosen Opfer jener Zeit. Erschütternd ist der Effekt, wenn die Geige auf dem Höhepunkt das Ostinato-Thema in die Oberstimme heraufholt und es selber singt. Die ganze Angst, der ganze Irrsinn der Epoche zittert durch die große Solokadenz, die die Passacaglia des dritten Satzes mit der Final-Burleske verbindet. Hier transzendiert die Virtuosität zu tiefem Ausdruck, ein Maßstab für die geistige Spannkraft eines jeden Interpreten. Am Ende der Burleske erscheint - wie in anderen Kompositionen, dem 2. Klaviertrio oder dem 3., 6. und 10. Streichquartett aus - das Ostinato-Thema der Passacaglia noch einmal als Höhepunkt: Die hirn- und herzlose Geschäftigkeit der Burleske ist die Grundlage für den Fortbestand des Gewalt- und Unterdrückungssystems, wie es durch das "Gewalt-Motiv" symbolisiert wird.
Jean Sibelius (1865 - 1957)
Sinfonie Nr. 2 D Dur op. 44
Jean Sibelius wurde 1865 im finnischen Hämeenlinna geboren. Sibelius studierte unter anderem bei dem deutschstämmigen Musikprofessor, Komponisten und Sammler finnischer Volkslieder Richard Falten und vor allem bei dem in Deutschland ausgebildeten Martin Wegelius, der 1882 das Musikinstitut in Helsinki gegründet hatte. Von 1889 bis 1891 studierte Sibelius in Berlin bei Albert Becker und in Wien bei Karl Goldmark und Robert Fuchs. 1891 kehrte er von seinen Studienaufenthalten zurück und arbeitete zunächst in Helsinki als Musiklehrer an der Universität. Die Etablierung als freischaffender Komponist erfolgte erst Jahre später, nachdem er durch eine Staatsrente finanzielle Unabhängigkeit erlangt hatte. Er komponierte unter anderem Sinfonische Dichtungen, Orchestersuiten, sieben Sinfonien, ein Violinkonzert, Kammermusik, Chorwerke und eine Oper.
Seine zweite Sinfonie in D-Dur op. 43 begann Jean Sibelius im Winter 1900 im italienischen Rapallo. Er vollendete sie 1902 in Finnland. Die Uraufführung fand am 8. März 1902 mit der "Helsinki Philharmonic Society" unter der Leitung des Komponisten statt. Die Stimmung der viersätzigen 2. Sinfonie ist freudig und leicht. Man merkt sofort, dass sie in Italien konzipiert wurde, wenngleich sie durch und durch Finnisch ist. Der erste Satz hat Sonatenform, aber mit drei Themen, von denen das erste, von den Holzbläsern intoniert, eine pastorale Stimmung bringt, die auch den anderen Themen lebhafte Züge verleiht. Im zweiten Satz verdüstern Paukenwirbel, Streicherpizzicati und Fagottmelodien die Heiterkeit des vorangehenden. Tiefem Seelenschmerz wird im zweiten Satz deutlich Ausdruck verliehen. Das Scherzo des dritten Satzes wirbelt eilig dahin, im Trio erklingt eine kantable Oboenmelodie. Nach der Reprise setzt hymnisch das Finale ein, das mit einem strahlendem Bläserchoral, dem trotz aller Lebensfreude immer noch etwas von der Melancholie der finnischen Landschaft anhaftet, endet.
Genre:
Konzert
Bischofsgartenstraße 1
50667 Köln
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April 2026
WDR Sinfonieorchester
RESONANZEN
Konzert | Sibelius & Schostakowitsch

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