Warten auf Godot | Depot 1
Von Samuel Beckett Eine verkehrte Welt: Die Zuschauer sitzen auf der Bühne, die Schauspieler performen in, auf und über den roten Plüschsesselreihen des eigentlichen Zuschauerraums.
Zwar sind die meisten Reihen mit weißen Stoffbahnen abgedeckt, aber in diesem weißen Meer sitzen Wladimir und Estragon und machen, was sie gestern schon gemacht haben. Sie warten auf Godot. Warum, wissen sie nicht. Sie haben nur das Gefühl, es sei wichtig. Es könne ihr Leben verändern. Die Hoffnung wächst, als Meister Pozzo die Bühne betritt: überschwänglich, von sich selbst eingenommen, sadistisch. Für ihn gibt es kein Morgen, nur das Hier und Jetzt. Was zählt ist er selber und sein Sklave Lucky. Pozzo ist schrill in allem, was er tut und was er verkörpert, das Gegenteil der beiden augenscheinlichen Vagabunden. Samuel Becketts Stück wankt zwischen der Erwartung auf etwas Anderes, Besseres und dem Leben in der Gegenwart. Regisseur Jan Bosse gelingt eine Inszenierung, die mit der Prämisse „Theater mit Corona“ augenzwinkernd umgeht. Umarmen? Nein, lieber nicht. Ein Küsschen? WAAAS? Erst recht nicht. Peter Knaack und Jörg Ratjen sind ein eingespieltes Vagabunden-Team. Ihnen ist die Freude am Spiel nicht vergangen. Die Live-Musik kommt von Carolina Bigge, die diese Performance meisterlich untermalt. Setzen Sie sich auf die Bühne, nicht unbedingt um zu verstehen, sondern um zuzuhören.
RJ
Donnerstag, 19. November 2020 | Kritiken