Atemschaukel | Depot 1

Bastian Kraft hat den Bestseller der Nobelpreisträgerin Herta Müller für das Theater adaptiert und bei dieser Fassung am Schauspiel Köln auch Regie geführt.

Das Stück spielt auf drei verschiedenen Ebenen – das, was war, das, was ist und das, was sein wird. Protagonist Leopold Auberg ist Rumäniendeutscher. Deshalb bringen ihn die Russen am Ende des Zweiten Weltkriegs in ein sowjetisches Arbeitslager. Erst gar nicht so ungewollt fort von der Heimat, quält er sich reumütig durch den Lageralltag. Er erinnert sich an die Worte seiner Mutter. Als alter Mann sitzt er am Schreibtisch und berichtet einem Blatt Papier, Worte aus der Gefangenschaft. Sechs Schauspieler aus dem Ensemble des Hauses schlüpfen abwechselnd in die Rolle des Leopold Aubergs. Jeder einzelne fügt dem Protagonisten etwas ganz Eigenes bei. Gemeinsam geben die sechs ein Gesamtbild des Charakters wieder. Der Einsatz der Handkamera schafft Intimität und erzwingt eine fast unangenehme Nähe zu der Gefühlswelt des jungen Mannes. Hunger, Erschöpfung, Angst und ständige Sehnsucht nach etwas anderem – vielleicht nach Zuhause – treiben Auberg um. Ein großartiger Roman seiner würdig zu einem unter die Haut gehenden Theaterstück umgesetzt. Schöne Worte in sprachlich und bildlich gewaltigem Gewand.
RJ

Dienstag, 01. Februar 2022 | Kritiken