Putinprozess

Schauspiel von Andriy May im Theater der Keller

Andriy May ist Theaterregisseur. Sein Hauptarbeitsplatz war Cherson. Dass er dort nicht mehr sicher und unabhängig arbeiten kann, ist verständlich. Als alleinerziehender Vater durfte er ausreisen, seine Heimat verlassen, musste nicht kämpfen. Doch von außen hilflos zusehen – das wollte er nicht. Im Theater der Keller hat er die Möglichkeit gefunden mit einem ukrainisch-deutschen Ensemble die momentane Situation in seiner Heimat zu verarbeiten, zu informieren, aufzuwecken. Schon allein die Spielstätte im Keller des Theaters lässt Assoziationen hervorblitzen. An so einem düsteren, beklemmenden Ort harren Menschen in diesem Moment aus und warten auf ein Ende, auf Sicherheit. Während des Stücks wird immer klarer, welchen Einfluss Putin auf das Leben der ukrainischen Bevölkerung hat. Eine Schauspielerin erzählt, dass sie immer wieder erklären muss, dass die Ukraine nicht zu Russland gehört, dass sie kein russisch spricht. Das Stück lässt Raum, das Grauen des totalitären Regimes langsam zu entfalten. Das Vermissen des Gewohnten kommt beim Singen eines Volkslieds zum Vorschein. Das Gezeigte wechselt ab zwischen rasender Schnelligkeit und einfühlsamer Langsamkeit. Ein Inszenierung, die kein Blatt vor den Mund nimmt und nichts beschönigt.

RJ

Mittwoch, 04. Januar 2023 | Kritiken